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Samstag, 5. Oktober 2013

Und wieder ein kleiner Bericht

Vielleicht ist das nicht der richtige Zeitpunkt für einen Blogeintrag, weil ich nicht wirklich in Schreib-Stimmung bin, aber nach einiger Zeit der Arbeitsverweigerung ist unser Computer wieder nutzbar und bevor er erneut Urlaub nimmt will ich ein Lebenszeichen absenden.
Es geht mir, abgesehen von tolerierbaren Halsschmerzen und kleineren Magenproblemen, prima. Die Arbeit ist einigermassen zur Routine geworden und die Wochenenden sind weiterhin mit Erlebnissen gespickt. Ich habe das Gefühl, dass alle Freiwilligen so langsam ihre europäischen Verhaltensweisen ablegen und den ecuadorianischen Lebensstil annehmen. Zu merken war das zum Beispiel am vorletzen Wochenende.
Wie eigentlich immer wollten wir irgendwo hin und trafen uns daher im Busbahnhof Quitumbe. Im Gegensatz zu vorherigen Reisen hatten wir aber noch kein Ziel ins Auge gefasst. So kam es, dass wir völlig planlos vor der Tafel mit Reisezielen standen und uns jede Energie eine Entscheidung zu treffen fehlte. Nach vielleicht einer Stunde einigen wir uns dann auf den Cayambe ( der dritthöchste Berg Ecuadors ). Eine äusserst dämliche Entscheidung, da einige in Flipflops unterwegs sind und überhaupt keinem nach Bergsteigen zu mute ist; andere Aktivitäten gibt es am Cayambe allerdings nicht, ist halt einfach nur ein grosser Berg. Trotzem sind wir froh eine Entscheidung gefällt zu haben und fahren los. Der Bus schmeisst uns nach ewig scheinender Fahrt an einer Tankstelle bestimmt 5km vom Berg entfernt raus. Ernüchterung macht sich breit weil wir merken, dass wir mitten in der Einöde festsitzen, ohne Aussicht auf eine Bergbesteigung (die wir beim 5796m hohen, vergletscherten Gipfel eh nie geschafft hätten) oder eine andere Aktivit. Wir beschliessen also in der Tankstelle zu essen und das weitere Vorgehen zu besprechen, keiner wird eine Idee haben. Frustriert von unserer Dusseligkeit kehren wir zur Strasse zurück um einen Bus Richtung Heimat zu nehmen. Es will kein Bus kommen. Da fällt plötzlich jemandem das grosse Verkehrsschild, das über der Strasse thront, auf: "Tumbaco 1km". Hoffnung keimt auf denn von Tumbaco haben wir schonmal gehört. Nicht weit entfernt soll es eine Farm geben, auf der andere Freiwillige arbeiten, die sind allerdings zunächst telefonisch nicht erreichbar. Wir laufen trotzdem die Strasse runter in Richtung Tumbaco. Nach wenigen Metern folgt das nächste Schild: "Tumbaco 2km". Sowas kommt vor und wir lassen uns nicht beirren. Schliesslich erreichen wir Tumbaco und erfahren, dass es gerade heute eine tolle Fiesta geben soll. Ein nette Einheimischer bietet uns an auf der Ladefläche seinen Pick-ups mitzufahren - natürlich gegen Bezahlung. wir nehmen das Angebot an weil wir ja sonst nichts mit uns anzufangen wissen. Bei der Fiesta angekommen wird klar, dass es sich um einen Stierkampf handelt. Die Arena ist eine provisorische Konstruktion aus Holzplanken und Plastikfolie. Es gibt sogar einen mit Menschen gefüllten Oberrang - ein statisches Wunder! Die Stiere sind allerdings noch nicht in der Arena, sodass wir weiter ins Zentrum ziehen. Am, für ecuatorianische Örtchen obligatorischen, Kirchplatz ruhen wir uns aus und versinken einmal mehr in unserer Planlosigkeit. Wir versuchen erneut die Farmleute zu erreichen und haben schliesslich Erfolg. Nach einigem umhergeeier, Bus nicht weitgenug genommen, bis zu welchen Schild müssen wir laufen?, links oder rechts?, ruf nochmal an! schaffen wir es endlich zur Farm. Es wird ein bisschen geschwatzt und ich kann sogar ein Buch auf deutsch ergattern - Frank Schätzing, Limit, 1300 Seiten, wird demnächst in Angriff genommen. Dann wird es Zeit zu gehen denn wir wissen ja nicht wann der letzte Bus nach Quito fährt. Irgendwo am Strassenrand in einem Wald unweit der Farm gabelt uns dann ein Bus auf und bringt uns nach Quito. Die letzte Entscheidung des Tages steht an: etwas trinken gehen oder gleich nach Hause. Wie immer an diesem Tag ist es uns beinahe unmöglich irgendwas festzulegen und wir brauchen eine Ewigkeit um herauszufinden, dass wir besser nach Hause gehen. Im Hinterkopf haben wir nämlich schon den Strand, der am nächsten Wochenende folgen sollte.

Von sowie Planlosigkeit und fehlender Entscheidungsfreude erschöpft vergesse ich beinahe, dass ich mich am Sonntag mit Daniel verabredet habe. Er wohn in Llano Chico und es gibt, wie hätte es anders sein können, eine Fiesta mit Stierkampf. Da wir gestern nichts vom Stierkampf gesehen haben bin ich heute umso gespannter. Meine Gastoma hatte sich zuvor lustig gemacht, dass die Stiere so klein wären dass sie kaum laufen könnten und nichts gefährliches dabei sei. Der Eindruck den ich gewonnen habe ist etwas anders, zwar gibt es sicher grössere Stiere, aber ich habe mich nicht getraut in die Arena zu steigen (jeder der will kann das machen). So ging der Sonntag unterhaltsam zu Ende.

Von der Schulwoche will ich nicht so viel erzählen. Erwähnenswert ist, dass Luis, der Direktor, angekommen ist und dank 40 Jahren in der Scheiz fliessend deutsch spricht. Das erleichtert einiges...

Nun also zum Highlight, dem Strand! Ich hatte am Freitag zuvor doppeltsoviel gearbeitet wie normal und bekam dafür den nächsten frei. So konnte ich schon am Donnerstag los ( bei insgesamt fast 20 Stunden Busfahrt macht das an einem normalen zweitägigen Wochennede auch wenig Sinn). Wir rauschen von Quito - wie ich wohl schon oft erwähnt habe auf 2800m Höhe im Tal der zwei Hauptkordilleren der Anden gelegen - nach Tonsupa 0m überm Meeresspiegel. Es wäre wohl eine beeindruckende Fahrt gewesen, hätte sie nicht im Dunkeln stattgefunden. Aber egal. Nach kleineren Staus und Polizeikontrollen kommen Daniel und ich gut in Tonsupa an. Paul, Karoliina und drei Ecuadorianer waren schon im Auto vorgefahren, elf, beziehungsweise vierzehn weitere Freiwillige würden noch folgen. Wir haben für die drei Tage in Haus mit Pool und Jacuzzi am Strand gemietet, 120$ pro Nacht geteilt durch 18-21 sind ein guter Preis. Wir passen alle problemlos ins Haus und haben ein irres Wochenende. Details werden verschwiegen und nur ausgewählte Bilder hochgeladen. Ein paar Worte zum Ort. Tonsupa liegt zwischen Esmeraldas und Atacames und ist so klein, dass man es schnell übersehen könnte. Der Strand ist vielleicht nicht der paradiesischste aber für strandhungrige Freiwillige, vornehmlich aus Nordeuropa, spitzenmässig. Das Wasser ist wärmer als erwartet, Tonsupa liegt wohl so nördlich und hinter Land geschützt, dass der kalte Humboldtstrom aus der Antarktis, der sich seinen Weg an Südamerikas Westküste Richtung Äquator bahnt, nicht mehr dorthin gelangt. Die Wellen sind selten grösser als einen Meter und man kann in der Brandung prima auf dem Bauch surfen. Das Essen an der Küste gefällt mir ein bisschen besser als in den Anden. Wie zu erwarten war gibt es viel Meeresgetier kombiniert mit tropischen Früchten. Am besten hat mir Fisch in Kokossosse geschmeckt.
Im gegensatz zu Baños gibt es nicht viele besondere Aktivitäten aber die brauch man auch nicht wenn man der Strand, ein Haus und einen Haufen lustiger Menschen hat.
Uns hat die Zeit so gut gefallen, dass wir nächstes Wochenende wieder an die Küste fahren werden. Glücklicher weise ist der kommende Freitag ein Feiertag, sodass alle ohne Probleme am Donnerstag loskönnen. Das Ziel heisst Montañita und ist bekannt als Partyhochburg und Ort für Aussteiger.

Das war das letze Wochenende und logischer Weise hat sich wieder eine Woche Arbeit daran angeschlossen. Der Sportlehrer hat gekündigt, der Computerlehrer hat gekündigt und noch ein anderer Lehrer hat ebenfalls gekündigt. So viele Lehrer haben wir aber garnicht und ich denke die Schule steckt in ernsthaften Schwierigkeiten. Gestern habe ich mit Rocio darürber gesprochen und sie hat mir erklärt, dass die Lehrer auf den kleinen Privatschulen weniger vredienen als auf staatlichen Schulen. Ich hatte gedacht das Johannas Betreuung bei uns in der Privatschule ein luxus wäre den sich meine Familie gerade so leisten kann. Die Wahrheit ist, dass sich wegen Platzmangel auf der Staatlichen Schule nicht angenommen wurde und desshalb bei uns ist. Das ist doppelt tragisch, einerseits kostet sie die Familie so 80$ im Monat, andererseits muss Rocio wegen ihr in dieser Schule arbeiten, um sie nach Hause bringen zu können und verdient so gut 120$ weniger pro Monat. Dazu kommt dass Rocios Mann mit 26 Jahren an einem Herzfehler gestorben ist und Salome als Hausfrau und Mutter von Juanito so sehr eingespannt ist, dass sie nur etwa 2 mal pro Woche als Putzfrau in der stadt arbeiten kann und da kaum genug verdient um sich die Bustickets leisten zu können. Die finanzielle Not ist der Grund warum ich hier leben darf. Die Familie bekommt gut 200$ pro Monat für mich. ohne dieses Geld würde es schlecht aussehen, Unterstützung vom Staat gibt es nicht. Wer keinen Job hat wird zwangsläufig kriminell. Ich weiss von anderen Freiwilligen, die von ihrer Gastfamilie um Geld gebeten werden und auch etwas geben. Ich habe nicht das Gefühl dass das bei mir passieren wird, aber ich weiss auch noch nicht wie ich dazu stehen würde.

Jetzt das Letzte was ich berichten will. Am Mittwoch war ich mit einigen anderen im Stadion. Liga Deportiva Universitaria Quito gegen Deportivo Quito. Ein Heimspiel für la Liga im grössten Stadion Quitos (55.000 Plätze). Mit dabei war auch wieder Augustin (einer der Ecuadorianer, die uns am Strand begleitet hatten) der uns erklärt weshalb die Sicherheitsbestimmungen so strikt sind. Vor einer Woche kam es nämlich zu Kämpfen von Fangruppen mit tödlichem Ausgang. Meine Gastmutter hat mich vor dem Spiel gewarnt, der Sportlehrer (vor seiner Kündigung) hat Strassenschlachten prophezeit, doch wir sind neugierig und wollen etwas erleben.
Am Stadion angekommen erwarten uns Heerschaaren von Polizisten, Milität, Reiterstaffeln, Hundestaffeln, ein Panzerwagen der Polizei und Horden privater Sicherheitskräfte. Die Karte kostet offiziell 7$, auf dem Schwarzmarkt 8$ - ich kann mir ein Lachen nicht verkneifen. Wir werden am Eingang gebeten unsere Gürtel abzulegen (wir werden sie nie wieder sehen) was mir sehr ungelegen kommt, da ich in der weitesten meiner Jeans unterwegs bin. Nach dreimaligem Abtasten dürfen wir rein. Anstelle von Sitzen gibt es nur Sitzreihen, damit man im Falle eines Tores nach vorne Stürmen kann oder falls es zu langweilig wird durch schuppsen eine Menschenlawine auslösen kann. Trotz der brisanz des Derbys ist das Stadion nicht ausverkauft, ich schätze es waren 30.000 da. Ausserdem gab es Alkoholverbot und besagten Gürtelverbot obwohl die Fangruppen eh nicht aufeinandertreffen konnten. Zu beginn wurden haufenweise Fussbälle ins Publikum gefeuert, soviele, dass wir gleich drei fangen konnten ohne uns extrem bemühen zu müssen. Wir sassen mitten im la Liga Fanblock und begrüssten die gegnerische Mannschaft (auch um nicht negativ bei unserern Stehnachbarn aufzufallen) mit lautstarken hijo de puta (Hurensohn) Rufen. Jeder einzelne Spieler, der Trainer und natürlich der Schiedsrichter (das Spiel hatte noch nicht begonnen) wurde damit bedacht. Besonders lustig war ein Ligafan der, noch im Anzug, auf eine Barrikade kletterte und mit einer brennenden Zeitung umherfuchtelnd, den Gegnern den Tod wünschte. Es wurde 90 Minuten ohne unterbrechung gesungen und gebetet. Am Ende stand ein 1:1 das keinem Team weiterhilft und alle waren etwas enttäuscht. Am schwersten wiegt der Verlust des Gürtels. Ich werde mir am Montag einen neuen besorgen und auch gleich ein Geschenk für Johanna kaufen, die dann sieben wird.
Für dieses Wochenende habe ich nichts geplant. Ausruhen, gesund werden und Vorfreude auf den Strand stehen auf dem Programm. Nach der letzten Zeit brauch ein Päuschen, den anderen gehts genauso.
Gleich versuche ich noch Bilder hochzuladen. 70 sind geplant also macht euch auf was gefasst.

Bis demnächst, geniesst die Herbstkälte und alle deutschen Annehmlichkeiten. Dafür dass ich garnicht in Stimmung war ist es ja doch einiges geworden...
Ich meld mich bald wieder.
Euer Felipe.          

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