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Samstag, 29. März 2014

Die Sonne und der Vulkan

Unser Freund die Sonne und der kleine Vulkan.


Eine knappe Zusammenfassung des vergangenen Wochenendes:

Zum Wochenende zähle ich in diesem Fall ausnahmsweise den Freitag dazu, da ich auch von ihm berichten möchte. In den letzten Wochen hatte der Freitag fast den Status eines normalen Arbeitstages gewonnen, da ich auf Grund diverser Unregelmäßigkeiten in der Schule ziemlich unverzichtbar geworden war. Gott und allen höheren Mächten sei Dank, dass mit diesem Unfug nun erstmal wieder Schluss ist. Der 21.03.14 war also einer der von mir geliebten "Ich-arbeite-weniger-weil-Freitag-ist" Tage. So bot sich eine extrem seltene Gelegenheit. Besagter Tag ist nämlich einer von zweien im Jahr, an dem die Sonne bei ihrer berühmten Wanderung von nördlichem Wendekreis zu südlichem Wendekreis und immer hin und her, den Äquator passiert. Soll heißen um punkt 12 Uhr (oder etwas früher oder später - abhängig davon wo man sich in der Zeitzone befindet) steht die Sonne absolut senkrecht überm Äquator. Arbeiten muss ich ja nur bis 10:30 Uhr und der Äquator ist gerade mal einen Katzensprung entfernt. So machen Antonia und ich uns auf, um dieses tolle astronomische Phänomen hautnah zu erleben. Wir erscheinen zur verabredeten Zeit am (mit GPS bestimmten, echten) Äquator nur unser lieber Freund die Sonne zieht es vor sich hinter Wolken zu verstecken.

Wenn man schon mal am echten Äquator ist kann man sich auch gleich an einigen physikalischen Experimenten erfreuen, die an der Exaktheit des Ortes keine Zweifel aufkommen lassen sollen. Theoretisch sind viele Experimente sinnvoll, praktisch nicht unbedingt. So ist zum Beispiel die Gravitation geringer je weiter man sich vom Erdmittelpunkt entfernt und darum am Äquator geringer als anderswo (solange anderswo nicht ein hoher Berg in der nähe des Äquators ist, dessen Gipfel weiter vom Erdmittelpunkt entfernt ist als jener Punkt auf dem Äquator). Stimmt soweit. Was total dämlich ist, ist das hierfür eingesetzte Experiment: Man hat einen Partner der die Arme schräg nach oben streckt. Man selbst zieht diese nun nach unten. Jeh nach dem wieviel Widerstand der Partner leistet ist das entweder sehr sehr leicht oder einfach nur leicht. Jetzt die Wiederholung einen Meter weiter nördlich, genau auf der Ä-linie. Wegen verringerter Schwerkraft (ungefähr garnicht verringert) ist der Wiederstand des Partners nun mit nur 2 Fingern zu brechen.(?)  

Samstag war dann Arbeiten angesagt. Nicht etwa weil Freitag ja eine Frechheit sei und Freiwillige zu arbeiten hätten, sondern weil es die Fiesta de San Jose de Moran gab. San Jose de Moran liegt nahe meines Wohnorts und ist vielleicht ein zwergenhafter Bezirk, mindestens aber ein kleiner Platz vor einer kleineren Kirche (genau weiß ich das nicht). Dem entsprechend fallen die Fiestas aus. Wir sind beinahe die einzigen Deppen die über die mal mehr mal weniger abgesperrte Straße stolzieren. Es kommt vor das ein Bus vorbei muss und die Prozession aufhält oder die Gruppe tanzender Omas eine kleine Pause einlegen muss. So oder so geht es stockend voran und so gut wie niemand guckt zu. Nur auf dem bereits erwähnten Platz tummeln sich einige Einheimische - meine Gastfamilie.

Nun aber zum wahren Highlight. Jeden Morgen stolpere ich schlaftrunken vom Haus über einen kleinen Feldweg bis zur Straße an der mein Bus hält. Der Weg befindet sich an einem Hang und zur rechten Seite liegt ein Tal. Der Blick nach schräg-rechts-vorne ist unverstellt. Es kommt vor das ich bei dem unebenen Boden ins Straucheln gerate. Es könnte mir egal sein; andere Menschen sind um diese Uhrzeit noch nicht unterwegs und das Missgeschick ist so unbedeutent, dass es keinen Grund zur Aufregung gibt. Doch jemand guckt hämisch von oben auf mich herab! Der Vulkan Pichincha macht sich über mich lustig und es gibt keinen Weg seinen  Blicken zu entgehen. Seit ich zu Beginn des Jahres mit der Seilbahn auf 4050 Meter gefahren bin und einen Spaziergang mit anderen Freiwilligen eingelegt habe, tut er so als hätte ich es nicht zum Gipfel "geschafft". Dabei war das garnicht meine Absicht und ich wollte nur den Blick auf die Stadt genießen. Nichts desto Trotz lässt er mich seit nunmehr einem halben Jahr nicht damit in Frieden. Genug!

Der Kampf Friedrich gegen kleiner Vulkan (4700m sind in den Anden nicht das Maß der Dinge) sollte am Sonntag stattfinden. Mir zur Seite stand Daniel als moralische Stütze und Essenträger (sorry Daniel aber in dieser heroischen und epischen Erzählung werden Tatsachen verdreht und Fakten so dargestellt wie es dem Helden von Nutzen ist :P ). Die Dauer des Kampfes wurde von einer Besuchertafel an der oberen Liftstation auf 5 volle Stunden festgelegt. Eins vorweg: diese halbe Ewigkeit wurde auf Grund eines vorzeitigen KOs nicht benötigt!

Schon am Morgen war abzusehen das der Pichincha alle dreckigen Tricks einsetzen würde um uns von seiner Eroberung abzuhalten. Erster Versuch war so zu tun als gäbe es ihn garnicht. In dicke Wolken gehüllt konnte man sich seiner Existenz nicht mehr sicher sein. Nachdem Busse und ein Taxi bemüht wurden begann der Aufstieg. Nach kaum 10 Minuten und ohne jegliche Anstrengung  haben wir es schon auf 4050 Meter geschafft (dank Seilbahn). Wärend sich die Gondel die letzten Meter zur Station hinaufschwingt, tauchen wir in eine graue Wolkensuppe ein. Derart benebelt nehmen wir genau den falschen der zwei möglichen Wege (wer sich für welche Option ausgesprochen hat soll hier unerwähnt bleiben). Das Malheur wird schnell bemerkt und die Route umgehend korrigiert. Wieder auf dem rechten Pfad zieht sich der milchige Vorhang bald zurück und gibt den, vom ersten Mal bekannten, tollen Blick auf Quito frei. Der Weg zum Gipfel ist in groben Zügen auszumachen und befindel sich stets auf einem Grat, sodass man sich selbst bei schlechtem Wetter kaum verlaufen kann.

Quito in schwarz-weiß, immer nur Farbe ist auch langweilig
Ein wolkenfreier Abschnitt kurz oberhalb der Seilbahn
Schon kurz nach Beginn des Wanderwegs geht es einige steile Rampen hinauf, die einem ganz schön den Atem rauben. Herzschlag und Atmung (beunruhigendes Rasen und heftiges Keuchen) geben den Rhythmus vor in dem man sich nach oben kämpft. Später wird es dann flacher und überraschend einfach. Wir kommen gut voran und können sogar etwas die Landschaft bestaunen. Mancher kann dem vielleicht nicht viel abgewinnen aber die Hügel mit dem struppigen Gras und den verwegenen, vom Wetter gepeinigten Pflanzen bilden in meinen Augen eine harmonische Mischung. Die Wolken sind unmittelbar über uns und der Pfad führt direkt hinein. In den Ohren dominieren Herzschlag, Atmung und der auffrischende Wind. Einzige Abwechslung dazu bietet das einschüchternde summen einer Hochspannungsleitung, die nicht so recht ins Bild passen will.

Als der Weg eine leichte Linkskurve vollführt bilden sich plötzlich von allen Seiten gleichzeitig Wolken und binnen weniger Sekunden haben sie uns verschluckt. Der kleine Vulkan hat uns die Sicht genommen und will uns das Leben schwer machen. Unbeirrt gehen wir weiter und erreichen bald, was wir für den Gipfel halten. Eine art Kegel aus Gestein türmt sich vor uns auf. Es scheint als gäbe es so etwas wie eine Kletterroute. Altanativ führt der Weg rechts davon weiter. Weder Friedrich noch Daniel (so nehme ich zumindest an) verstehen irgendetwas vom Klettern und so ist die Wahl eine leichte. Die Wolke in der wir uns befinden isoliert einen von der Außenwelt. Man fühlt sich wie in einer Blase, die abhängig von der Dichte des Nebels mal größer, mal kleiner ist. Wir laufen nun am Hang entlang ohne Steigung und quasi um den Gesteinskegel herum. Der Pfad ist manchmal nur einen halben Meter breit und die geringe Sicht lässt einen vielleicht 15 Meter Abhang erahnen, den Rest übernimmt die Fantasie. An besonders engen Passagen schaltet sich meine Höhenangst ein und versucht mich mit Gewalt über die Kante zu ziehen. Vor meinem inneren Auge werde ich circa 20 Mal in die Tiefe stürzen. In der Regel ist der Weg allerdings angenehm breit und ein steiler Abhang ist eher selten.

ein kleiner Abhang, der in Wirklichkeit bedeutend beeindruckender ist
Es klart wieder etwas auf und seit geraumer Zeit haben wir nicht mehr an Höhe gewonnen. Plötzlich endet der Weg. Rechts geht es steil bergab, links eine Steinwand bergauf. nachrückende Wanderer erspähen keine 3 Meter oberhalb des alten Weges dessen Fortsetzung. Spätestens hier wird meine Illusion eines einfachen Wanderwegs zum Gipfel zerstört und die Beschreibung des Aufstiegs als "anspruchsvoll" (Besuchertafel bei der Seilbahn) lässt in mir düstere Befürchtungen aufkommen. Die kleine Klettereinlage zum neuen Weg wird relativ souverän genommen.
das Ende unseres Wegs, die Wand zur linken will erklettert werden

Ab hier wird es beschwerlicher. Wasser rinnt über den Pfad und macht ihr rutschig und schlammig. Ab und zu hat eine Gerölllawine den Weg mit Steinen bedeckt und es wird allgemein feuchter und kälter. Der Nebel ist nun dicker denn jeh und nach einiger Zeit endet auch dieser Weg. Zur linken erhebt sich der Pichincha, zur rechten geht es bergab, mehr kann man nicht sehen. Unser Weg hört an dieser Stelle auf, da das folgende Gelände aus losem Sand besteht und es bei dieser Steigung einfach keinen Weg im Sand geben kann, der nicht sofort zurieselt. Wir sehen nicht besonders weit und haben keine Ahnung ob nach dem Sand noch irgendetwas besseres kommt, oder ob man hier einfach hochstiefelt.

Letzteres ist unsere Wahl mit der Einschränkung dass "einfach" beinahe ein Ding der Unmöglichkeit ist. Der Untergrund ist gelinde gesagt beschissen. Egal wie man es anstellt, mit den Händen am Boden oder nicht, man kommt beinahe überhaupt nicht vom Fleck. Angenommen man hat beide Füße parallel nebeneinander. Hebt man das eine Bein, so erhöht sich das Gewicht auf dem anderen und man sackt unvermittelt ab. Um die Talfahrt zu beenden rammt man also den freien Fuß etwa auf Kniehöhe des Standbeins in den Sand. Mit dem alten Standbein ist man nun ein gutes Stück tiefer als zu Beginn des Schrittes, der andere Fuß immerhin noch etwas höher. Hebt man dann den Tiefer gelegenen Fuß um einen weiteren Schritt einzuleiten, wiederholt sich das Ganze und man kommt so gut voran wie ein Hamster im Laufrad. Nach nervenaufreibendem Kampf legen wir eine Pinkelpause ein und genau in diesem Moment beginnt es zu regnen. Nur für wenige Sekunden, dann geht er in Hagel über. Wir sehen nicht wo wir hinlaufen, kommen nicht wirklich vom Fleck und der Pichincha führt sein nächstes Attentat auf uns aus. Ich frage mich ob wir nicht umkehren sollten. Auch Daniel fragt mich ob wir nicht umkehren sollten. "Nein nein nein so ein Quatsch! Auf was für Gedanken kommst du denn?" (oder so ähnlich). Nach dem kurzen Stimmungstief und dem Katastrophenwetter bessert sich die Lage wieder.

ehrlich schlechte Sicht

der elende Sandhang (ziemlich steil)
Der Hagel geht so plötzlich wie er kam und auf einmal betritt eine weitere Person die Parallelwelt in der wir uns seit einiger Zeit befinden. Eine Frau mittleren Alters platzt in unsere Sichtblase und stapft einfach so den Berg hinauf. Was soll das denn? Wo wir uns elendigst abgearbeitet haben geht sie wie ein normaler Mensch. Des Rätsels Lösung ist ein Streifen Vegetation, auf dem man nicht einsinkt und wunderbar Halt findet. Nicht das wir da nicht auch so drauf hätten kommen können aber irgendwie sind wir da halt nicht drauf gekommen. Wahrscheinlich lag dieses Gestrüpp zu sehr am Rand unseres Sichtfelds und die Freude sich mal einer Herausforderung gegenüber zu sehen war wohl so groß das wir erst garnicht nach einfacheren Alternativen gesucht haben.

Wir hängen uns an ihre Versen! Nach einiger Zeit erreichen wir einen neuen Abschnitt des Aufstiegs. Die Sanddüne liegt unter uns und der Gipfel über uns. Leider ziemlich senkrecht über uns. Der nackte Fels ragt steil empor bis er sich unseren Blicken, in Wolken un Nebel gehüllt, entzieht. Er ist nass und kalt. Überhaupt ist es nass und kalt und meine Hände spüre ich schon länger nicht mehr. Vielleicht ist das sogar ganz gut denn so ohne Gefühl fühlt es sich zumindest nicht schlecht an. Den Bedingungen und meiner Höhenangst zum Trotz klettere ich Stück für Stück nach oben.
im Nebel hat der Pichincha manchmal den Anschein aus einer anderen Welt zu sein

beim Rumgekletter fühle ich mich nicht immer wohl
In einem dramatischen Anflug von Hollywood greife ich ins Nichts, meine Hand sucht panisch nach Halt und findet keinen. Ein Blick nach oben bringt die Gewissheit. Es gibt keinen Fels mehr zu packen und der Gipfel ist erreicht. Euphorie scheißt durch die Adern und ein bisschen Erleichterung macht sich breit. Außerdem ein ungutes Gefühl in der Magengrube. Hunger. Daniel sei Dank hat Daniel Essen für zwei dabei. Der Pichincha war eine härtere Nuss als gedacht. Sicherlich waren die Wetterverhältnisse nicht optimal und unsere Route noch viel weniger (schon beim Abstieg haben wir einen Weg genommen, bei dem viel Kletterei erspart geblieben wäre), trotzdem ist es nicht ohne. Für hoch und runter haben wir 4 Stunden Gebraucht und somit die Besuchertafelzeit um eine Stunde unterboten.

die Tafel auf dem Gipfel, 4696 Meter

um auf 4700 zu kommen muss man noch ein winziges Stück nach oben; man beachte die Steilheit links und rechts
Jetzt, nach einigen Tagen, kommt es mir vor, als wäre das alles doch leichter gewesen als hier beschrieben. Das Wetter hat sich stark geändert. Die Regenzeit scheint entgültig vorüber zu sein und heute konnte ich seit bestimmt fünf Monaten zum ersten mal wieder den Cotopaxi sehen. Der Pichincha ist mittlerweile den Großteil des Tages wolkenfrei. Ich kann es kaum erwarten mit Carl und seiner Freundin erneut hochzusteigen. Dann mit besserer Route und hoffentlich grandioser Aussicht.

Da ich solange an diesem Bericht geschrieben habe, ist sogar nochmehr passiert. Am Freitag (heute) gab es mal wieder einen Schulausflug. Ich war etwas unvorbereitet und hatte deshalb meine Kamera nicht dabei. Tatsächlich wurde mir erst nach Abfahr der Busse bescheigesagt, sodass ich ein paar hundert Meter laufen musste, bis ich zum wartenden Bus kam. Ziel war eine archäologische Stätte gut 75 Minuten von der Schule entfernt. In Cotachasqui (oder so ähnlich) sind die Überreste eine Prä-Inkakultur zu sehen. Die Quito-Cara lebten hier von etwa 500-1500 nach Christus, bis sie von Inka und Spaniern über den haufen gerannt wurden. Zurück blieben einige Pyramieden, die etwa 15 Meter hoch sind. Der Führer erklärt, dass die Quito-Cara die Pyramieden mir Erde bedeckt und dann zuwuchern haben lassen, damit sie von den Inkas übersehen werden. Die Bauwerke liegen immernoch unter Erde und Gras, weshalb die Anlage in etwa so aussieht wie die Heimat der Teletubbies. Beeindruckender als die kleinen Hügel der Zivilisation ist die Aussicht. Man befindet sich auf 3100m und der Tag war wie gemalt. Man hat Blick auf nicht weniger als 21 Vulkane. Unter ihnen der Cotopaxi, Cayambe, Antisana und Pichincha (2.,3.,4. höchster berg Ecuadors und der von mir bereits bezwungene Hausberg Quitos).    

Das solls erstmal wieder gewesen sein aus Ecuador.
Liebste Grüße an alle!
Euer Friedrich.

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