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Freitag, 24. Januar 2014

Januar

Hallo Leute, mein letztes Lebenszeichen liegt kaum zwei Wochen zurück und schon versorge ich euch wieder mit Neuigkeiten.
Die dreiwöchige Pause von den Ferien geht zu Ende und bald sitze ich im Flugzeug nach Kolumbien. Es soll aber nicht der Eindruck eines Freiwilligen-Urlaubsjahres entstehen. Die zweiten Ferien die ich haben werde sind, mal abgesehen von der Zeit nach meinem Einsatz im Projekt und vor der Heimreise, leider auch die letzten und auf sie werden wieder einige Monate pausenloser Arbeit folgen.
Trotz der Kürze der letzten Arbeitsetappe ist einiges passiert. Ich wurde von meinen Aufgaben bei den sechsten Klassen befreit und darf mich fortan intensiever mit den dritten beschäftigen. Das Niveau des Englischunterrichts ändert sich dadurch allerdings kaum. Das ist weniger ein Lob für die Kleinen, als vielmehr der Tatsache geschuldet, dass sich das Lerntempo scheinbar antiproportional zum Alter der Schüler verhält. Ich unterrichte lieber lebhafte Drittklässler, als lethargische Sechstklässler.
Der normale Arbeitsalltag wurde dann noch duch das Erkranken einer Lehrerin weiter durcheinandergewirbelt. Laura, zuständig für die Elite der schwererziehbaren vierjährigen, genannt Inicial II C, verbrachte gut zwei Wochen im Krankenhaus. Um diesem Probelm Herr zu werden, wurde jeweils eine Hälfte der Rasselbande bei Inicial II A und eine bei Inicial II B untergebracht. Da betroffenes Lehrpersonal diesem Ansturm alleine nicht standhalten konnte, wurden Freiwillige herbeigerufen, um für Recht und Ordnung zu sorgen. Ich durfte also ganztags bei der A aushelfen und Klara bei der B.
Hier ist zu erwähnen, dass wir zwei neue Voluntäre an Bord haben. Klara und (H)elena, beide aus der Schweiz. (H)elena spricht, wenn sie will, ein fast akzentfreies Hochdeutsch. Das einizige was ich mit grosser Regelmässigkeit nicht verstehe ist ihr Name. Sie ist vielleicht knapp 30, kann kaum Spanisch und ist ansonsten recht lustig. Klara hingegen kommuniziert mit Antonia und mir in einer oft kaum zu deutenden Sprache. Es ist wohl Schwyzerdütsch das mit zufällig platzierten aah, ähh und hnns angereichert ist. Sie ist 70 Jahre alt und wollte sich daheim Spanisch duch autodidaktisches Studium selbst beibringen. Nach einiger Zeit hat sie das aber aufgegeben und muss nun nach eigenen Angaben dafür büssen, da sie quasi nichts versteht. Klara erscheint mir manchmal etwas verwirrt und überfordert. Ich befürchte, dass sie eines Tages verloren gehen wird. Als am Donnerstag Morgen ein Ausflug mit den Sechsten anstand, erschien sie nicht in der Schule. Am Telefon sagte sie dann sie wisse von nichts und sei noch zu Hause, obwohl auch der reguläre Unterricht längst angefangen hatte.
Zurück zu Inicial II A. Vielleicht auf Grund der "schwächer" besetzen Hilfsposition bei der B bekamen wir dann die nervigeren Kinder. Unter ihnen Miquel, unbestrittener König der Strolche. Ich glaube ich habe schon einmal kurz von ihm berichtet; jetzt widme ich ihm den Platz der ihm gebührt. Seine Herrschaft beschränkt sich nicht nur auf alle Klassen von Inicial I und II, sogar bei den Erstklässlern ist er gefürchtet. Die Hierarchie der (sehr) Kleinen schient primär durch deren Gewaltbereitschaft bestimmt zu sein. Generell schreckt fast keines der Kinder vor gewalttätigen Handlungen zurück. Allerdings endet ein "Kampf" sobald es einen Sieger gibt. Ein Kind heult, ein Kind lacht, völlig unabhängig davon ob es gewonnen oder verloren, ausgeteilt oder kassiert hat. Es kommt vor das ein Kind ein anderes schlägt und dann selbst weint, vielleicht aus Schreck oder (eher nicht) weil es die moralische Verwerflichkeit seiner Handlung erkannt hat. Miquel ist allerdings anders. Was ihn Heute zum König macht, wird ihm später wohl eine grosse Last sein. Er hat offensichtliche mentale Probleme. Ihm ist es unmöglich korekt zu sprechen, was aber vermutlich nicht auf eine physische Fehlfunktion zurückzuführen ist, da er schreien und "falsche Worte" sagen kann. Ausserdem scheint es ihm an Empathie zu mangeln. Nach einem unvermeidbaren Sieg in einer körperlichen Auseinandersetzung (auch die meisten Erstklässler überragt er spielend) hört er nicht auf zu Schlagen. Seine körperliche Unterlegenheit bezogen auf das Lehrpersonal erkennt oder akzeptiert er nicht. Dadurch bin auch ich Leidtragender. Die Aufgabenverteilung in den letzten zwei Wochen war in etwa wie folgt. Maryela kümmert sich um alle Kinder ausser Miquel, der ist meine Freude. Nachdem ich gebissen, geschlagen und getreten wurde, Miquel sowohl "Pipisch" als auch "Poposch" in seine Hose gemacht hat, bin ich froh, dass Laura wieder genesen ist und ich meinen alten Stundenplan verfolgen kann.
Neben dem bereits erwähnten Ausflug der Sechsten, bei dem ich nicht dabei war, gab es noch weitere, an denen ich Teilnehmen durfte. Schon vor einigen Monaten ging es mit den dritten Klassen in einen Wald namens Jerusalem. Ziemlich unspektakulär, darum habe ich davon auch nicht geschrieben. Nun busuchten alle Kinder bis zur ersten Klasse den Zoo in Guayabamba. Es gab einige Tiere zu sehen. Die Hauptattraktion war das Löwengehege. Es war einige Meter tiefer als das umliegende Gelände und so war der Zaun denkbar niedrig. Der vierjährige Ostin nahm das zum Anlass einen Selbstmordversuch zu starten. Auf halbem Weg nach oben konnt er jedoch abgefangen werden.
Ein anderes Mal habe ich die zweiten Klassen in die Mini-City begleitet. Auch Klara hätte dabei sein sollen, hat aber den Weg zum Bus (der vor der Schule stand) nicht gefunden. Die Mini-City ist eine Art Spielehalle. Die Kinder müssen "arbeiten", bekommen Geld und können damit den Eintritt zu tollen Aktivitäten kaufen. Ich bekomme 18 Kinder an die Hand. Alle Aktivitäten können nur in der grossen Gruppe gemaht werden und nie wollen sich alle 18 Kinder auf eine Sache einigen. Es ist ein grässliches und dämliches System. Meine Kinder sind beinahe so gefrustet wie ich und beschliessen schliesslich einfach schreiend umherzulaufen und sich in der riesigen Halle zu verstecken. Meine befürchtung ist dass ein Kind verloren gehen könnte. Am Ende des Tages habe ich aber 23 Kinder. Offensichtlich hatten die anderen Lehrer ähnliche Probleme.

Zum Abschluss noch etwas trauriges. Loba (Hund) ist tot. Von den anfangs drei Hunden ist also nur noch Candy übrig. Anstatt zumindest betrübt zu sein haben Johanna und Juanito fröhlich mit der Leiche gespielt, beziehungsweise sie geschändet. Ich war kurz davor den beiden eine zu feuern. Das Grab mit der winzigen Schaufel auszuheben war eine Schinderei und mir hat der Rücken tagelang wehgetan.
Desweiteren habe ich meinem Leben in der Dunkelheit ein Ende bereitet. Die Glühbirne in meinem fensterlosen Zimmer hatte den Dienst quittiert und ich musste das Licht im Bad (im Eingangsbereich gibt es auch kein Licht) anmachen und die Türen offen lassen um mein Zimmer, um die Ecke, mit einem schwachen Schein zu erleuchten. Rocio's tägliche Versprechen eine Birne zu kaufen blieben wochenlang unerfüllt und so habe ich mir dann gegen ihren Protest selbst die Erleuchtung besorgt.

Letztendlich ist dann sogar noch das Paket meiner Eltern angekommen. Nach über 6 Wochen erreichten mich ein toller Brief, leckere Kekse, ein dringend benötigtes Buch, ein ebenfalls benötigter iPod und etwas für die Gastfamilie. Der iPod wird gebraucht um Musik zu hören (so so); nachdem mein Smartphone gestolen wurde war das nicht mehr möglich. Mir wurde im übrigen auch noch mein zweites Handy, ein "Verykool" in der Schule geklaut. Jetzt bin ich stolzer Besitzer eines "BLÜ" in knallgelb. Von dem Buch wusste ich garnichts. Genausowenig war mir bewusst wie dringend ich es brauche. Meine Arbeit im Projekt und auch mein Leben in der Gastfamilie stellen mein Gehirn vor keine grossen Herausforderungen. Ich hatte gehofft, dass das Spanischlernen in einer Weise fordernd ist, dass es die mentale Abstumpfung, durch das sonstige Fehlen von kniffligen Aufgaben, verhindert. Vielleicht hoffentlich ist mein Spanisch bereits so gut, dass auch diese fremde Sprache im alltäglichen Gebrauch nicht mehr fordernd genug ist. Jedenfalls bemerke ich an mir selbst zunehmend geistige Schwächeanfälle. Ich schreibe diesen Blogeintrag und frage mich beängstigend lange was bei "Herausvorderung" nicht stimmt. Das Buch mit dem Thema Einführung in die philosophische Anthropologie bestätigt mich in meiner Befürchtung des zunehmenden intellektuellen Verfalls und wirkt diesem hoffentlich zugleich entgegen. Oft muss ich Sätze mehrmals lesen, obwohl sie verständlich formuliert sind. Es fällt mir schwer mehrere Seiten am Stück zu lesen und meine Konzentration lässt schnell nach. Ich werde das, was ich hier geschrieben habe, auch nochmal durchlesen, um sicherzugehen, dass es nicht allzu zusammenhangslos und wirr ist.

Ihr werdet wieder von mir hören, wenn ich aus Kolumbien zurück bin. Bis dahin wünsche ich euch viel Gesundheit und wenn möglich die Erleuchtung.
Euer Friedrich   

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