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Mittwoch, 20. November 2013

Mama Negra und El Quinche



Und wieder gibt’s was neues…
In den vergangenen zwei Wochen war ich verschiedenen Torturen ausgesetzt. Diese kamen in Gestalt bemerkenswert grosser Menschenmengen und sowohl physischer als auch psychischer „Wunden“.
Seinen Anfang nahm es am vorvergangenen Wochenende in Latacunga. Nachdem ich zuvor in Cuenca und Quilotoa war spielte ich mit dem Gedanken einfach mal zu Hause zu bleiben und mich auszuruhen. Aber es fand das Mama Negra Fest, und wie mir meine Familie versicherte damit die Gelegenheit ecuadorianische Tradition authentisch zu erleben, statt. Eige Freiwillige hatten sich bereits gefunden und halbmotiviert schloss ich mich der Gruppe an. Also auf in die Hauptstadt der Provinz Cotopaxi um dem Spektakel beizuwohnen.
Die erste Überraschung gab es dann schon am Busbahnhof Quitumbe. Anlässig der Grossveranstaltung (deren Grösse ich unterschätzt hatte) fuhren Busse (angeblich) alle 5 Minuten nach Latacunga. Trotzdem mussten wir gute zwei Stunden in der Schlange warten, die auch hinter uns nicht kürzer werden wollte.
Dementsprechend gefüllt presentierte sich die eigentlich recht kleine Stadt (weniger als 60.000 Einwohner) bei unserer Ankunft. Das Fest an sich ist ein Festumzug bei dem sich die Teilnehmer Karneval-ähnlich verkleiden und (viele!!!) geschmückte tote Schweine tragen. 

 
Eines der Schweine. Man beachte den gequälten Gesichtsausdruck des Schweineträgers.

Zwischendrin bewegt sich dann die „Mama“ Negra, die eigentlich ein Mann ist, auf einem Pferd. Ihre Aufgabe ist es eine Art Schrein mit (wenn ich mich recht erinnere) einer der in Ecuador zahlreichen Jungfrauen anzuzünden. Desweiteren hat sie natürlich noch blendend auszusehen.

Mama Negra
                                                                  

Man kann sich dem Geschehen nur schwer nähern, da einem eine massive Menschenwand den Weg versperrt. Zudem rauben einem eine Armada aus Schirmen (mal Regen- mal Sonnenschirm, an jenem Tag war beides von Nöten) und auch unsere europäisch-überragenden Körpermasse helfen uns so wenig. Letztendlich krabbeln wir unter einer Tribüne hindurch um uns dann etwas unverschämt in die erste Reihe zu drängen. Wer nahe genug am Festvolk ist der bekommt ungefragt Alkohol in den Mund geschüttet, weshalb diese Plätze noch beliebter sind, als es der privilegierte Blick allein erahnen liesse. 

Wir haben uns in die erste Reihe gekämpft


Nach einigen Stunden der Monotonie (der Umzug hält immernoch an und es ist kein Ende in Sicht) beschliessen wir aufzubrechen und beim Weg zu Bus passiert es. Zum ersten mal im Leben werde ich bestohlen! Das Handy hat sich aus meiner Hosentasche entmaterialisiert ohne das ich sofort Kenntniss davon genommen hätte. Angesichts meiner diesbezüglichen Handlungsunfähigkeit wächst meine Wut ins ungesunde. Ich bekomme Kopfschmerzen. Ein schwacher Trost ist das das quasi allen Freiwilligen, die ihr angestammtes Handy hier weiterbenutzt haben, passiert ist und meins noch mit am längsten bei mir geblieben ist. Trotzdem bin ich mit mir selbst unzufrieden und meine Blödheit ist ein bedeutenderes Ärgerniss als der Verlust an sich. Mittlerweile habe ich ein neues Handy. Billig, robust, für Diebe hoffentlich unattraktiv und von der Marke Verykool was (man beachte die Schreibweise) genau das ist was ich gesucht habe. Ich konnte eine neue Sim mit alter Nummer bekommen und habe auch noch alle Nummern. Mittlerweile bin ich sogar ganz froh. Es ist eine Sorge wenige, auch wenn sie sich dadurch aufgelöst hat, dass sie wahr geworden ist.



Letztes Wochenende folgte dann der physische Teil meiner Folter. Duch den bescheidenen Verlauf der vorangegangenen Ereignisse bekräftigt, wollte ich mal was mit meiner Familie machen und keine Freiwilligentour starten. Glücklicher Weise hatte Rocio auch promt was im Petto - eine Art religiöser Pilgermarsch. Super! Ehrlich. Mir wurde von fünf Stunden gehen berichtet und ich dachte mir das kann ja durchaus etwas meditatieves haben und ein bisschen Katharsis schadet nie. Auf Grund der mir gelieferten Beschreibungen und meines bisherigen Bilds des hiesigen Katholizismus – weit verbreitet, wenig praktiziert – fiehl meine Fehleinschätzung dieses Events weit kolossaler aus als die von Mama Negra. In meiner Vorstellung laufen also nicht mehr als hundert Menschen zu einer Virgen die man leicht in drei Stunden erreichen könnte (die Statur meiner Gastmutter verschleiert ihr Ausdauervermögen!). Wir (Rocio, Lenin und ich) ziehen um 21 Uhr losund treffen kurz darauf in Calderon, dem Eingang zur Hölle (Startpunkt) an.
Aus einer Seitenstrasse betreten wir den Hauptweg und finden uns urplötzlich in einer unüberschaubaren Menge wieder. Es ist verblüffend wie schlagartig sich der Wandel vollzieht. In der Gasse aus der wir kamen waren wir die einzigen Menschen und einen Wimpernschlag später kann ich den Boden nichtmehr sehen, so sehr drängen sich die Menschen zu einem Schwarm zusammen. Es ist Nacht und kein Regen in Sicht, darum versperren mir keine Schirme die Sicht und meine (hier) hühnenhafte Gestalt ermöglicht es mir den Blick über die Masse schweifen zu lassen. Weder Anfang noch Ende des Menschenstroms liegen in meinem Blickfeld.

 
Der Blick in die ander Richtung war identisch!

 Als ich wieder nach vorne gucke sind Lenin und Rocio weg. Scheisse! Alle Leute sehen gleich aus und ich weiss nicht in welche Richtung sie verschwunden sind. Anderer seits auch kein grosses Problem, verlaufen werde ich mich wohl kaum und in Quinche (Zielort) kann man sich ja wiederfinden. Kurz darauf sehe ich Rocios Arme wild durch die Luft fuchteln, „Felipao, Felipao!!“; vielleicht auch besser so. Gemeinsam ziehen wir weiter und verlassen zu meiner Ernüchterung die befestigte Stasse um einen steinigen Schotterpfad herabzusteigen. Da man den Boden vor Menschen und Dunkelheit nicht sehen kann und Brocken beträchtlicher Grösse auf dem weg befindlich sind, ist das gehen keine Freude. Zumal schlägt Rocio ein Tempo an, dem zu folgen wohl selbst Jefferson Perez (einiger Olyimpiagewinner Ecuadors – 20km Gehen) Probleme bereitet hätte. Zwischenzeitlich hätte ihre Gangart sogar zur disqualifikation bei einem Gehwettbewerb geführt. Aber warum nach Quinche gehen wenn man auch rennen kann? Später wird die Geschwindigkeit etwas gedrosselt, bleibt aber weiterhin hoch. Lenin erzählt recht ausser Atem dass im letzten Jahr gut 80.000 teilgenommen hätten. Dieses Mal könnten es auch 100.000 sein. 

 
Der Verpflegungspunkt.

 
Zusammen mit Rocio und Lenin.

Wir befinden uns im Herzen der Anden, was zum einen ein Minus an Sauerstoff, zum anderen ein Plus an Steigungen, mit sich bringt. Nach ein paar Stunden erreichen wir dann sowas wie eine Verpflegungsstation. Ein paar Stückchen Wassermelone und ein Becher Kokossaft müssen reichen. Ich bin schon ziemlich platt und erkundige mich wie weit es denn noch sein. „In zwei Stunden könnten wie die Hälte geschafft haben.“ Leider kein Scherz. Insgesamt werden wir rund 10 Stunden und 35 km laufen! Am Wegesrand liegen Gläubige die den Schmerzen und der Müdigkeit nachgeben mussten. Nicht gerade die grösste Motivation weiterzumachen wenn man selbst mit den genannten Symptomen der Erschöpfung ringt. 

 
Es sind wirklich viele Menschen!

Die Kirche von El Quinche - das Ziel.

Schlafende und erschöpfte Geher vor der Kirche.


Irgendwann ist es dann aber vollbracht. Wir erreichen Quinche und drängen, eingebettet in ein Meer aus Menschen, der Kirche entgegen. Die Messen werden aus Platzmangel nicht in der Kirche sondern auf einer Art Innenhof abgehalten. Es dauert ewig hineinzukommen. Die Eingänge sind winzig, die ganze Infrastruktur ist bei weitem nicht für solche Massen ausgelegt und die Polizei scheint ihre Entscheidungen, Eingänge zu öffnen und zu schliessen, nicht wirklich zu koordinieren. Drinnen angelangt zünden die Leute ihre Kerzen an. Umgeben von Feuer hat das ganze eher was von Hölle als von Himmel. Zwei Minuten wird über Gott gesprochen, acht darüber wie man am besten hier wieder raus kommt. Der religiöse leiter der Veranstaltung steht auf seinem Podium und dirigiert die Gläbigen mal zu dieser mal zu jener Tür. Auch er scheint die Taktiken der Polizei nicht ganz zu durchblicken, sodass als wir endlich einen Ausgang erreichen, dieser prompt verschlossen wird. Es stellt sich die Frage wer hier das sagen hat; zumindest schein keiner den Überblick behalten zu können. Auch die Polizisten schauen meist ratlos drein und lassen uns dann doch durch den abgesperrten Ausgang passieren.
Wir müssen noch zwei Stunden laufen um zu den Bussen zu gelangen. Mein Gang ist ziemlich unrund und ich fürchte mich schon vorm nahenden Muskelkater. Mittlerweile ist die Sonne aufgegangen und um 7:30 Uhr morgens sind wir dann wieder zu Hause.

Das war Sonntag, heute ist Mittwoch und mich plagen wieder Halsschmerzen. Dieses Mal überspringe ich jegliche Homöopathie und greife gleich zum Antibiotikum, dann man rezeptfrei in der Apotheke bekommen kann. Ich gehe also davon aus dass es mir schon morgen besser geht. Desweiteren fühlt sich meine linke Fusswurzel etwas wie Brei an. Beim auftreten scheint mein Unterschenkel ein wenig Spiel zu haben und es knackt und knarzt ohne Unterlass. Auch das wird sich bald wieder normalisiert haben denke ich.

Zum Abschluss wieder ein paar Kleinigkeiten.
50% der Freiwilligen in unserem Projekt, Lina und Sandra, werden im Dezember die Heimreise antreten. Das bedeutet Lehrermangel, der duch mich und Antonia kompensiert wedern wird. Anstatt meistens anderen Lehrern zu helfen, werden wir viel alleine unterrichten. Die Vorfreude hält sich bei mir jedoch in Grenzen.
Ich sehe zunehmend tote Hunde auf den Strassen. Vielleicht liegt es daran dass ich mittlerweile tote besser von lebenden Hunden unterscheiden kann. Vielleicht wütet aber auch gerade eine Hundepest in Carapungo.
Mit dem neuen Handy habe ich mich zwar angefreundet, es kann aber keine Musik abspielen. Deshalb spiele ich mit dem Gedanken mit den Laptop von Paul zu kaufen. Er wäre billig, wohl nach Benutzung für den gleichen Preis wieder verkaufbar und ich könnte Musik hören und Filme gucken. 
Weihnachten kommt näher, die entsprechende Stimmung bleibt fern. Immer gleichbleibende Temperaturen, gleichlange Tage und die Aussicht darauf, dass bei meiner Familie wegen Geldmangels keine Geschenke ausgetauscht werden, lassen mich schon fast mit etwas Melanchonie an Deutschland denken.
Sonst gehts mit aber bestens! 

Bis zum nächsten Mal,
Euer Felipao.

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